Bitterer Calvados by Simon Catherine

Bitterer Calvados by Simon Catherine

Autor:Simon, Catherine
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Goldmann TB
veröffentlicht: 2016-11-15T11:59:32+00:00


SECHZEHN

Auf der Autobahn Richtung Paris herrschte am Sonntagmorgen gähnende Leere. Erst am Abend würden sich die Blechlawinen wieder in die Hauptstadt wälzen. Für heute hatten die Meteorologen einen weiteren sonnigen Frühlingstag angekündet, danach sollte Regen einsetzen. Leblanc saß am Steuer des Renault Mégane, Nadine auf dem Beifahrersitz. Nach eineinhalb Stunden ruhiger Fahrt verließen sie bei der Ausfahrt Chambourcy die Autobahn und gelangten, ohne die Stadt durchqueren zu müssen, in ein Waldgebiet nördlich von Saint-Germain-en-Laye.

»Schade«, sagte Nadine, »ich hätte das Schloss gern mal gesehen, die Residenz der französischen Könige, bevor der Sonnenkönig Versailles bauen ließ. Der Ort ist so berühmt und nur knapp zwanzig Kilometer von Paris entfernt, aber man fährt einfach nie hin.«

»Stimmt«, pflichtete Leblanc ihr bei. »Versailles scheint einem wie zu Paris gehörig, dabei ist Saint-Germain-en-Laye gleich weit entfernt.« Bei Versailles dachte er kurz an Tante Amélie, die nun ihr freudloses Leben in dem großen Haus ohne ihre Schwester wieder aufnehmen würde. Bedauerlich, dass ältere Menschen so wenig flexibel waren. Seine Mutter ausgenommen. Im Grunde bewunderte er ihren Mut, mit zweiundsiebzig noch einmal etwas Neues anzufangen. Vermutlich würde eine afrikanische Großfamilie sich nicht nur gemeinsam um die Kinder, sondern auch um die Alten kümmern. Ja, er gab es zu, er war erleichtert, seine Mutter versorgt zu sehen. Hoffentlich erlaubte sie sich nicht irgendwelche Eskapaden, die dazu führten, dass sie ihre neue Familie wieder verlassen musste.

Er bog in eine gut ausgebaute Straße ein, die in eine Sackgasse mündete, an deren Ende ein begrünter Kreisel Abzweigungen zu zwei Parkplätzen anzeigte. Eine psychiatrische Klinik hatte er sich anders vorgestellt, mehr wie ein Krankenhaus mit vergitterten Fenstern. Dieses Gebäude, ein ehemaliges Herrenhaus, modernisiert und saniert, erstrahlte in hellem Weiß mit abgesetzten grauen Linien und gab sich den Anschein eines Hotels der gehobenen Klasse. Im Mittelteil, über dem ein Giebel thronte, befand sich die große Eingangstür. Er wurde an beiden Seiten flankiert von zwei symmetrisch angeordneten Trakten. Das Dach war neu gedeckt, die Sprossenfenster wiesen keinerlei Gitter auf. Die Klinik machte einen freundlichen, aber sachlichen Eindruck. Leblanc parkte auf einem der ausgewiesenen Parkplätze.

»Das kann sich auch nicht jeder leisten«, meinte Nadine trocken. »Die psychiatrische Klinik in der Nähe von Lisieux sieht weniger einladend aus. Mein Onkel hat sich dort behandeln lassen, als er Depressionen hatte, zum Glück nur ambulant. Man kann froh sein, wenn man nicht in die geschlossene Abteilung eingewiesen wird.«

»Ich schätze, JPP hat sich den Aufenthalt seiner Frau etwas kosten lassen.«

Hinter der Eingangstür wurden die Eintretenden daran erinnert, dass sie sich in einem Krankenhaus befanden. Am Empfang, einem Tresen aus hellem Holz, begrüßte sie eine weiß gekleidete Schwester, und am Fahrstuhl zeigten Schilder die verschiedenen Stationen an.

Leblanc stellte sich und Nadine vor und berief sich auf seine Verabredung mit Doktor Roubaud.

Die Schwester nickte und griff zum Telefonhörer. »Warten Sie einen Moment, er hat heute normalerweise keinen Dienst, aber ausnahmsweise ist er da.« Sie kündigte die beiden Gäste an, und einen Moment später sagte sie: »Fahren Sie hoch in den zweiten Stock, Doktor Roubaud erwartet Sie.«

Ein schlanker, drahtiger Mittvierziger mit braunem Haar und Brille nahm Leblanc und Nadine in Empfang.



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